Suprême NTM
Die Geschichte des Rap Français als Serie
Artes „Die Welt von morgen“ trumpft mit der Geschichte von NTM und DJ Dee Nasty auf. Die Mini-Serie der französischen Regisseure Katell Quillévéré und Hélier Cisterne bringt uns in die End 80er und Anfang 90er nach Frankreich.Der junge Daniel kommt von einer USA-Reise zurück in sein Heimatland und will sich seinen Lebensunterhalt als DJ verdienen. In den USA ist Hip-Hop auf dem Vormarsch, in Frankreich ist der Trend noch nicht wirklich angekommen. Das will Daniel, alias DJ Dee Nasty, ändern.
Die Erstausstrahlung findet am 20. Oktober und 27. Oktober auf Arte um 22h statt. Aber natürlich können wir schon vorab, ab dem 10. Oktober übers Netz, die 6-teilige Serie streamen. Bis zum 16. November läuft es dann auf Arte.tv.
Die Themen der Tracks von damals sind heute genauso aktuell. Es geht um Rassismus, Ausgrenzung, Ungleichbehandlung, Geld, Frauen, das Leben in den Vororten und vieles mehr.
Die französische Hip-Hop-Gruppe aus der Pariser Banlieue Saint-Denis. Die Pioniere des Rap Français haben damals mit ihrer Musik die Missstände in den Vororten angeprangert und damit für Randale gesorgt – heute sind sie dagegen eher harmloser unterwegs. Aber, sie existieren noch.
Im Interview mit den Machern der Serie, können wir die Tragweite dieser Entstehung, dieses Umbruchs der Musikkultur, erahnen und ableiten. Man hat sich wirklich sehr viel Mühe gegeben, das Gefühl dieser Zeit zu übertragen. Ich bin wirklich begeistert.
Wie begann das Abenteuer von Die Welt von morgen?
Hélier Cisterne: Wir hatten schon lange Lust, etwas zu den Anfängen des HipHop in Frankreich zu machen, uns dabei aber nicht von den Codes des Biopics einengen zu lassen. Dafür erschien uns das Serien-Format ideal. Die Mitglieder von NTM sind über Tanz und Graffiti zum Rap gekommen. DJ Dee Nasty war ein Pionier.
Am Beispiel ihrer Werdegänge lässt sich diese Bewegung in ihrer ganzen Bandbreite erzählen, also die „große Geschichte“ einer Generation von jungen Leuten aus einfachen Verhältnissen ohne Zugang zur Öffentlichkeit, die sich deshalb eine Kultur angeeignet haben, die ihnen Gehör verschafft hat.
Katell Quillévéré: Der Stoff zur Serie, kam zunächst durch den persönlichen Kontakt. Wir wollten die Klischees sprengen und haben deshalb Verbindung zu unseren Protagonisten und damaligen Wegbegleitern aufgenommen. Diese stundenlangen Interviews und die mit Laurent Rigoulet durchgeführten.
Recherchen sowie einschlägige Literatur zum Thema dienten als Ausgangsmaterial für die Autoren unter der Leitung von Vincent Poymiro und David Elkaïm. Die ganze Geschichte erwies sich als so ergiebig, dass wir beschlossen haben, die Aussagen auf keinen Fall zu verfälschen und ihre poetische, soziale und politische Tragweite herauszuarbeiten.
Die Werdegänge der Protagonisten sind verblüffend und oft ist viel Humor dabei ...
H. C.: Das ergab sich aus den Interviews. Wir wollten diese Energie, den typischen Slang der Pariser Vorstädte mit dem entsprechenden Spotten und Scherzen, unbedingt beibehalten. Die Welt dieser Jungen ist grau, aber sie lachen trotzdem: „Humor ist die Höflichkeit der Verzweiflung“ zitierte Vincent Poymiro beim Drehbuchschreiben.
K. Q.: Zu unseren Referenzen zählen Serien, die das Thema schwierige Jugend mit Humor angehen, z.B. Voll daneben, voll im Leben und Malcolm mittendrin oder auch Pierre Salvadoris Filmkomödie Die Anfänger. Unsere Figuren entwickeln sich durch Gewitztheit, und experimentieren weiter. Wir wollten eine Balance finden: einerseits ihren Alltag realistisch abbilden und gleichzeitig eine Serie machen, von der die ZuschauerInnen nicht loskommen – ähnlich wie unsere Protagonisten auch nie aufgeben.
Wie sind Sie an die historischen Aspekte der Serie herangegangen, die 1983 beginnt und 1991 endet?
K. Q.: Hier haben wir und unser Kameramann Tom Harari uns von den britischen Sozialdramen der 1980er Jahre inspirieren lassen (Alan Clarke, Ken Loach), aber auch von den Fotografien von Tom Wood, Nick Waplington und Richard Billingham. Wir haben ein großes Archiv mit Bildmaterial, O-Tönen, Details zu den Figuren und historischen Dekorelementen angelegt. Als sehr wertvoll hat sich unser Kontakt zu den Zeitzeugen erwiesen. Sie haben die Szenen kommentiert, bestimmte Haltungen oder Dialoge korrigiert. Dadurch konnten wir noch präziser nachstellen, bis hin zu den Vintage-Klamotten von Dee Nasty und den Preisen und Fotos der Familie Lopes, die uns Kool Shens Mutter Christiane gegeben hat!
H. C.: Die Musik ist ein ganz zentraler Aspekt. Daran haben wir enorm viel mit den Experten von Noodles gearbeitet. Dee Nasty hat seine eigenen Songs überarbeitet und uns intensiv beraten. Bei anderen Entscheidungen haben wir uns von den Gesprächen mit Leuten leiten lassen, die damals dabei waren.
Es gibt drei musikalische Ebenen, die ineinandergreifen:
Musik, die in den
Szenen zu hören ist oder gespielt wird;
Musik, die von den
Protagonisten gemacht wird; Amine Bouhafas Soundtrack, eine freie
Mischung aus Funk, Electro, Rock und Klassik bis hin zum Chopin-Sample in „That‘s My People“, dem NTM-Rap, der alle Protagonisten
zusammenbringt.
Musik, Tanz, Graffiti: Ihre Darsteller müssen all diese Ausdrucksformen glaubhaft vermitteln. Wie sind Sie vorgegangen?
K. Q.: Wir haben anderthalb Jahre lang gecastet, weil wir wollten, dass die Besetzung die Jugend von heute widerspiegelt. Neben professionellen Darstellern spielen Jugendliche aus der HipHop-Szene oder auch von der Straße weg angeheuerte Personen mit. Alle wurden intensiv gecoacht: Sie haben gelernt, zu tanzen, zu rappen, zu sprühen und zu scratchen. Und wir haben Wert darauf gelegt, dass sie die Personen, deren Rolle sie spielen, kennenlernen. Für die Graffiti und die Livemusik-Szenen wurde sehr viel geübt, bis es richtig saß.
Neben all diesen Jungen war es Ihnen auch wichtig, den Werdegang einiger weiblicher Figuren zu beleuchten.
K. Q.: Wir haben sehr schnell gesehen, wie es damit bestellt war: Es gab Rapperinnen, aber beim Hip-Hop war für Frauen wenig oder gar kein Platz. Natürlich spielten Frauen eine wesentliche Rolle: Vivi, ihre Mutter Patricia, Béatrice oder Christiane Lopes... Die Serie versteht sich auch als Hommage an ihre Kraft, ohne dabei die noch immer aktuelle Frauenfeindlichkeit des Milieus auszusparen, und will junge Frauen von heute ermutigen, sich zu fragen, was sie wirklich wollen.
Was bedeutet 'Die Welt von morgen' im Jahr 2022?
H. C.: Die Fragen, die sich der heutigen Jugend stellen, sind immer noch dieselben, nur dringlicher. Wir wollen vermitteln, dass es nicht unbedingt darauf ankommt, sofort zu wissen, was man will, sondern nach und nach zu verstehen, was man ablehnt, welche Welt man nicht will.
K. Q.: Wir wollten die spannende Entwicklung von Menschen zeigen, die eine Schlüsselrolle für den Erfolg anderer und der Hip-Hop-Bewegung insgesamt gespielt haben, die aber nicht unbedingt berühmt geworden sind. Wo Licht ist, ist auch Schatten!
Das Narrativ ist politisch motiviert und will die Jugend
von heute dazu auffordern, über ihre gemeinsame Zukunft
nachzudenken. „Die Welt von morgen gehört uns, egal, was
passiert.“ Dieser Satz von NTM ist auch heute noch aktuell und
geht die Jugend ebenso an wie uns alle.
Abschließend bleibt mir nur noch eins zu sagen:
>>> Die Serie muss man gucken. <<<
Die Welt von morgenLe monde de demain
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Was auch immer passiert, liegt an uns
Quoi qu'il advienne nous appartient
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Die Macht liegt in unseren Händen
La puissance est dans nos mains
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Also hör dir diesen Refrain an...
Alors écoute ce refrain...
...
Hip Hop Don't Stop | Ab 10. Oktober auf arte.tv
Fotos © JEAN-CLAUDE LOTHE | Arte Presse