Total Pixel Space | Wenn Originalität mathematisch endet
Jacob Adlers Kurzfilm Total Pixel Space provoziert. Neun Minuten, ein Voice-over, algorithmisch generierte Bilder. Schaut erstmal alles generisch aus und ich habe aktuell auch schon coolere KI Videos gesehen und auch selbst produziert. Aber darauf kommt es hier nur peripher an. Der Film gewann gerade 2025 den Grand Prix des Runway AI Film Festivals und stellt eine irritierende These auf: Die digitale Bildwelt ist nicht unendlich, sondern endlich und vollständig beschreibbar. What?Die Grundlage ist eine einfache Rechenlogik.
Jedes digitale Bild besteht aus einer begrenzten Anzahl an Pixeln. Jeder Pixel besitzt eine definierte Farbanzahl, beispielsweise 16,7 Millionen bei 24-Bit Farbtiefe (RGB). Bei einer festen Auflösung wie 1920 × 1080 ergeben sich exakt 256^3^(1920 × 1080) mögliche Bilder. Eine Zahl von unvorstellbarer Größe. Dennoch endlich. Bäämmm.Adler überträgt dann diesen Gedankengang auf eine künstlerische Ebene. Er vergleicht den „totalen Pixelraum“ mit Jorge Luis Borges Kurzgeschichte „Die Bibliothek von Babel“. In Borges Welt existiert jedes erdenkliche Buch, jeder mögliche Satz, jedes sinnlose Zeichenarrangement. Übertragen auf Bilder heißt das also: Jede fotografische Aufnahme, jedes Gemälde, jede visuelle Vision ist bereits mathematisch impliziert und sie muss nur extrahiert werden. Junge, das wirft doch wieder die Simulationstheorie auf, oder?
Der Kurzfilm illustriert das Angedachte anhand von KI-generierten Bildern. Viele wirken vertraut. Naturkatastrophen, Menschen in Küstenlandschaften, surreale Tiere, Science-Fiction-Städte. Sie erscheinen kreativ, neu, emotional. Doch sie basieren auf trainierten Mustern, Vorbildern, Genre-Ästhetiken. Der Film entlarvt die vertrauten Motive als kulturelle Konstanten im KI-Kosmos. Angelernt, geremixt.
Und genau diese Konstante offenbart ein zentrales Problem:
Die Wiederholung. Obwohl der Raum der Möglichkeiten riesig ist, greifen sowohl KI als auch Mensch immer wieder auf bekannte Muster zurück. Das liegt an der menschlichen Wahrnehmung. Unsere Vorlieben sind vortrainiert. Unsere visuelle Sprache konditioniert. KI spiegelt dieses Verhalten. Sie produziert keine Vision, sie rekombiniert bereits bekanntes mit hoher Wahrscheinlichkeit. Und Adlers Film konfrontiert diese kreative Rekursion mit philosophischer Tiefe. In einer Szene beschreibt der Voice-over die Vorstellung, dass Total Pixel Space nicht nur alle realen, sondern auch alle nie realisierten Lebensbilder enthält. Digitale Abbilder deines Lebens in Varianten, die nie existierten. Da sind wir ja schon bei der Vielweltentheorie angelangt. Und er argumentiert, dass Zeit im digitalen Raum kein kontinuierlicher Fluss ist, sondern als Sammlung statischer Bilder existiert. Wie Filmframes auf einem Band, das bereits vollständig vorliegt. Unser Bewusstsein projiziert Bewegung auf diese festen Strukturen. Zeit wird Illusion. Mindfuck as possible.Diese Idee rührt damit an klassische Fragen der Ontologie und Erkenntnistheorie.
Wenn alles bereits existiert, bleibt die Frage:
Was ist dann noch neu?
Und was ist das Original?
Die Implikationen reichen bis ins Urheberrecht.
In der traditionellen Rechtsprechung gilt ein Werk als schützenswert, wenn es „eine persönliche geistige Schöpfung“ ist (§ 2 UrhG). Der Schöpfungsakt setzt Individualität und Neuheit voraus. Doch wenn also jedes digitale Bild bereits als Möglichkeit in einem endlichen Raum enthalten ist, wird das Prinzip der Neuheit fraglich. Ob ein Gericht diesem Einwand folgen würde, bezweifle ich. Aber es scheint was dran zu sein und dem sollte man Folge leisten.
Mir fällt da direkt die biblische Schöpfungsgeschichte ein, nicht weil ich daran glaube, aber weil der Gedanke schon vor so langer Zeit aufgeschrieben wurde:
Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde; die Erde war aber eine Wüstenei und Öde, und Finsternis lag über der weiten Flut, und der Geist Gottes schwebte brütend über der Wasserfläche. Da sprach Gott: ‚Es werde Licht!', und es ward Licht.
Das wirkt doch im Hinblick auf meine vorherige Einordnung wieder ganz interessant. Gott als Ur-Schöpfer. Jetzt mal losgelöst von dem biblischen Gedanken, kann es ja nur einmal ein Original gegeben haben und danach Remixe. Wenn Gott also in Genesis 1,3 sagt „Es werde Licht“, entspricht dies einem Prompt an ein KI-System. Das Logos (der göttliche Code) prozessiert diesen Prompt und generiert die entsprechende Realität. Spannend, oder?
Dazu kommt natürlich auch noch:
Generative KI wie mein geliebtes Midjourney, DALL·E oder Runway werden mit vorhandenen Bildern trainiert. Der Output basiert daher auf bestehenden Werken, Stilen, Strukturen. Jede neue Kreation ist statistisch betrachtet ein Remix. Kein Plagiat im klassischen Sinn, aber auch kein völlig unabhängiges Werk. Und genau das führt zu rechtlichen Grauzonen. Meine Auffassung dazu ist sehr liberal.Ein zentrales Problem ist die Zurechenbarkeit.
Wer ist Urheber eines KI-generierten Bildes?
Der Prompt-Ersteller?
Der KI-Anbieter?
Niemand?
Die US-Copyright-Office hat eine klare Position bezüglich KI-generierter Werke eingenommen. Seit 2023 gilt die offizielle Leitlinie, dass Werke, die vollständig von künstlicher Intelligenz ohne menschliche Beteiligung erstellt wurden, nicht urheberrechtsfähig sind. In der EU gestaltet sich die Rechtslage eindeutig komplexer und uneinheitlicher. Verschiedene Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Ansätze und eine einheitliche EU-weite Regelung steht noch aus. Rechtlich gesehen bewegen wir uns also in einem Niemandsland. Reine KI-generierte Bilder sind nach aktueller Rechtslage in der EU grundsätzlich nicht urheberrechtlich geschützt, aber das bedeutet nicht automatisch, dass sie völlig frei verwendbar sind. Es müssen also die Lizenzbestimmungen der KI-Plattformen beachtet werden.
Adlers Film liefert natürlich keinen juristischen Kommentar, stellt aber absolut fundamentale Fragen: Wenn alles digital Darstellbare bereits implizit existiert, auf welcher Grundlage lassen sich Schutzrechte beanspruchen?
Warum werden Künstler, Blogger, Influencer abgemahnt, wenn sie ein Bild veröffentlichen, das zwar nicht kopiert, aber als wahrscheinlicher Pixelcluster generiert wurde?
Und: Ist es ethisch vertretbar, dass Unternehmen Milliarden mit Modellen verdienen, die aus fremden Werken lernen?
Gleichzeitig zeigt Total Pixel Space, wie eng kreative Freiheit und kulturelle Prägung verknüpft sind. Die Illusion grenzenloser Möglichkeiten kollidiert mit der Realität einer kulturell geformten Ästhetik. Selbst im theoretisch vollständigen Bildraum bleiben wir in Mustern gefangen. Die Stärke des Clips liegt darin, diese Widersprüche sichtbar zu machen. Er nutzt die Mittel der KI, um über KI hinaus zu reflektieren. Also, keine Panikmache, kein Hype. Eher ein stilles Innehalten. Ein Fingerzeig auf die Begrenztheit unserer Vorstellungskraft, selbst im Angesicht mathematischer Unendlichkeit.
Jacob Adler zeigt, dass Kreativität nicht im Zugang zu unendlich vielen Möglichkeiten liegt, sondern in der bewussten Auswahl, im Kontext, im Stil. Auch wenn jedes Bild bereits existiert, entscheidet der Mensch, was Bedeutung erhält. Vielleicht liegt das echte Original nicht im Werk, sondern in der Haltung.