Auf dem Weg zur großen 5.
Ich erinnere mich noch genau, wie ich im Garten meiner Großeltern und Eltern saß, 10 Jahre alt und klimperte auf einer Spielzeug-Gitarre mit Nylonsaiten herum. Ich war an diesem Tag so selbstzufrieden, wie man nur sein konnte.Selbstzufrieden mit dem ersten Jahrzehnt, welches ich geschafft hatte. 10 Jahre alt, Mensch, das war doch schon was. Ich fühlte mich nicht mehr so klein und unbedeutend, denn ich hatte „genullt“. Verrückt, ich kann mich wirklich noch sehr genau an das Gefühl erinnern, welches ich zu diesem Zeitpunkt hatte. Noch cooler fühlte sich nur die 16 an, denn da durfte man schon viel mehr machen, nicht alles, aber irgendwie hat man es doch alles gemacht. Eine Rebellenzeit. 18 war dann schon fast lahm, da war ja alles erlaubt.
Nochmal diese Zahl 10 auf meine erste Null draufgerechnet und ich zog schon beinah aus und mit meiner damaligen Freundin zusammen. Ein paar Jahre später wurde mein erster Sohn geboren. Ein Jahr später dann die Trennung von ihr. Meine Frau lernte ich dann mit 29 Jahren kennen und geheiratet wurde mit 33. Zwei Söhne folgten. Die 30 war da schon wieder etwas Besonderes, denn da wurde man als richtig Erwachsen angesehen – als ob ich das jemals sein wollte/will. Aber als ich mit 29 meine Frau auf einer Party kennenlernte, warnte sie eine Freundin vor mir „Der ist 30 und hat ein Kind“. Puh, was hatte ich Glück gehabt, es machte ihr wenig aus. Und die 40, tja, die kam dann einfach und war auf einmal da. Und es ist wahr, die Zeit rast, je älter man wird – ich hielt es immer für einen Witz von älteren Leuten. So belehrend. Aber die Ankerpunkte werden weniger, die neuen Eindrücke auch. Man kennt die Welt, meint man zumindest. Und tief im Inneren wird einem auch bewusst, dass man die Halbzeit schon langsam erreicht hat.
Jetzt, Ende 40, bin ich tiefenentspannt. Ich weiß, es kann mir nichts passieren, es gibt immer Lösungen für Probleme und wenn eine Tür zugeht, öffnet sich eine Neue. Nein, man wird nicht wirklich weiser, aber zeit meines Lebens habe ich immer viel Selbstreflexion ausgeübt, da ich von meiner Außenwelt immer erfahren musste, dass ich anders bin. Und ja, da haben sie wohl alle recht. Meine Mutter erzählte mir erst neulich, wie schon zur Kindergartenzeit eine andere Mutter über mich berichtete, ich wäre so künstlerisch, so kreativ, aber auch so anders und sicher auf einer Waldorfschule ganz gut aufgehoben. In der Grundschule war ich wohl auch beim Schulpsychologen, kann mich aber nicht mehr wirklich daran erinnern. Sowas wie ADS und ADHS gab es damals nicht als Begriff. Ein echter „Zappelphilipp“ war ich auch nicht... na ja, vielleicht doch. Aber ich konnte mich sehr gut mit Kreativarbeit beschäftigen und dann stundenlang basteln oder mit Knete Dinge bauen – Hyperfokus nennt man das wohl. Bin immer schon ein Technikfreak gewesen. Alles, was mir Spaß machte, alles, was Knöpfchen hatte, alles, was mein Interesse weckte, fesselte mich – anders entzog sich meinem Fokus und Interesse. Mathe war zum Beispiel in der Grundschule ein Graus für mich. Auf der weiterführenden Schule (und es war keine Waldorfschule) war Mathematik auch nicht mein Steckenpferd, dafür Informatik. Unser Direktor war zugleich mein Mathelehrer und konnte nicht verstehen, wie ich abstrakte Abläufe in Informatik ohne Schwierigkeiten lösen konnte, aber in Mathematik meine Schwierigkeiten hatte. Mathematik entzog sich halt meinem Interesse, ich sah keine weiteren praktischen Anwendungen für mich in Kurvendiskussionen.
The downside? When life is calm and cool and under control, people with ASD tend to be in crisis.
»Mit dir muss man immer diskutieren.«
Verschlagwortet:
Jetzt, Ende 40 wird mir langsam klar, woran das „Anders-Sein“ liegt, aber das Thema möchte ich jetzt nicht komplett vertiefen, es ist und bleibt vorerst nicht diagnostiziert und ändert mein Leben nicht mehr wirklich signifikant. Könnte dich vielleicht auch langweilen und das will ich ja wirklich nicht.
Ich habe in all den Jahren gelernt, wie ich Masken richtig aufsetzen muss. Ich habe gelernt, mich weiter anzupassen. Es gelingt mir jedoch nicht immer – ich falle noch ab und an den Leuten ins Wort – ich schalte auf Durchzug, wenn der Ablauf in meiner Welt keinen Sinn ergibt. Ich schiebe Dinge gerne auf, die mir persönlich nicht wichtig genug erscheinen. Ich diskutiere gerne. Ich fokussiere mich auf Dinge, die mir Freude bereiten und darin bin ich dann oft sehr gut. Zumindest erhalte ich, wenn Menschen auf mich eingehen und mir in diesem Sinne zuarbeiten, sehr gutes Feedback und Kritiken. Und ja, in Krisensituationen bin ich immer sehr klar und lösungsorientiert.
Verrückt, diese Erkenntnis hat bei mir nahezu ein halbes Jahrhundert gebraucht. Neurotypen haben also ab und an Probleme mit mir, meinem Denken und Handeln. Wer sich aber auf mich einlassen kann, der bekommt sicher ein gutes Paket. Denn viele Situationen habe ich von Anfang an schon mehrfach im Kopf durchgespielt. Ja, es sind Filme, die da ablaufen. Wichtig ist, ich brauche immer etwas Neues, immer Abwechslung, immer frischen Input, um interessiert zu bleiben. Bleibt das aus, wird die Arbeit stupide, gerate ich mitunter ins Prokrastinieren. Neurodivergenz? Kann schon sein. Nun, es kann größtenteils oder vollständig genetisch bedingt und angeboren sein. Ich vermute, ich habe es geerbt und auch weitergereicht. Hochbegabung (diagnostiziert) und ähnliches Verhalten wie bei mir, gibt es bei meinen Kids auch. Und ja, es ist schwierige(er), hat aber auch viele richtig gute Momente. Lediglich die Schwierigkeiten mit der Umwelt, dem Umfeld, hätte ich meinen Kids gerne erspart. Man tickt halt anders. Fühlt sich auch oft ganz gut an, ab und an auch nicht.
Was mir aber auf lange Sicht immer mein Hyperfokus-Standbein, mein Rückzugsort war, ist und bleibt, ist dieser Blog hier. Auch wenn ich in letzter Zeit weniger Zeit finde, täglich meine Beiträge zu droppen. Quasi war es über die Jahre ungeahnte Hilfe zur Selbsthilfe. Und teilweise sind hier komplette und komplexe Beiträge vorgeschrieben, nicht veröffentlicht und gelöscht worden, denn vieles würde sicher nicht richtig verstanden. Aber diesen Beitrag, den lasse ich einfach mal so stehen. Und natürlich frage ich mich, ob er mir vielleicht schaden könnte, während ich in tippe und ich frage mich beim Schreiben, warum ich das wohl gerade mache.. Es gibt viele Erklärungsansätze in mir, aber ich spekuliere hier einfach mal auf mehr Toleranz und vielleicht auf einen guten Diskurs. Kannst du mir folgen? Verstehst du mich? Wenn nicht, auch nicht weiter wild, ich kenne das ja. Und hab ein dickes Fell entwickelt.
Und wenn ich mich gerade immer mehr selbst entdecke, so kurz vor der 50. freue ich mich sogar darauf, diese imaginäre Grenze zu überschreiten. Aber ich weiß immer noch nicht, ob ich es wirklich groß feiern sollte. Denn irgendwie ist es ja nur eine Zahl. Und wenn ich von Zahlen schreibe, dann stelle ich fest, es fühlt sich im Innersten alles wie 26 Jahre an. So, dann haben wir jetzt mit diesem Beitrag auch die nicht vorhandene Midlifecrisis abgearbeitet ;). Meinen Wunsch-Porsche mit 30 habe ich eh gegen Babybuggy und Pampersbomber ausgetauscht. War, und jetzt sind wir wieder bei der Weisheit des Alters (muhahaaa), eine gute Entscheidung.
Prima, hier wieder meine geistigen Ergüsse einfach so herunterschreiben zu können. Vielleicht lese ich mir den Beitrag in 10 Jahren nochmal durch und lache laut... vielleicht auch nicht. Fakt, in dem Garten, wo ich mit 10 Jahren saß, habe ich ein Haus gebaut und wohne dort mit meiner Familie. Gitarre spielen kann ich immer noch nicht – entzog sich auch bisher meinem Interesse ;) .
Marty McFly told me the Future will be Great.