Packt den Helikopter ein. Packt ihn weg.
Gerade bin ich über eine Kolumne im Spiegel gestolpert, was heisst gestolpert, sie spricht mir aus der Seele und spiegelt eine unglaublich verrückte Welt wieder. Es geht um Eltern, die alles kontrollieren, um Kinder die trotz mehr Sicherheit die Freiheit einbüßen müssen.Es geht um unsere Kinder. In meinem Studium der Sozialwissenschaft habe ich mich u.a. mit Furchträumen beschäftigen dürfen, wir haben mit einem unserer Docs und der Polizei einen Rundgang durch unsere Stadt gemacht und vermeintliche Angst- und Furchträume in Wuppertal besichtigt. Dunkle Ecken, wenig Licht halt, schlecht einsehbar von den umliegenden Straßen und ein Paradebeispiel für Aufenthaltsort eines Mörders im Tatort. Doch genau an diesen Stellen, welche von den Bürgern meiner Stadt so mit Argwohn betrachtet und gemieden werden, ist laut der Polizeistatistik bisher nie eine Auffälligkeit im Bezug auf Straftaten ersichtlich geworden. Ja, wir lesen immer mehr im Netz, immer wieder erfahren wir Schreckensszenarien im Fernseher oder hören von unglaublichen Verbrechen im Radio. Wir schauen uns überspitzte Filme an, welche an die Grenzen des ertragbaren heranreichen und transferieren es in unsere Realität. Wir erschaffen uns ein Bild, ein Trugbild unseres Umfeldes und lassen die tatsächlichen statistischen Werte komplett außer Acht. Ich möchte mich ja auch nicht davon freisprechen, doch eine Theorie, die ich immer wieder vertreten habe, war es, dass man bewußt Furchträume zur Steuerung der Bürger erschaffen kann - und nein, es soll jetzt keine Verschwörungstheorie von mir werden.
Bekannt ist aber, dass 2017 in Deutschland, der Polizeistatistik zufolge, fast zehn Prozent weniger Verbrechen erfasst wurden als noch im Vorjahr und dass dies der stärkste Rückgang seit mehr als 20 Jahren ist. Diese Statistik ist natürlich immer mit ein wenig Vorsicht zu genießen, allerdings sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, dass es richtig sei, "dass wir seit der ersten gesamtdeutschen Kriminalitätsstatistik 1993 noch nicht einen solch hohen Rückgang zu verzeichnen hatten". Und wenn die Statistik vielleicht nur mittelprächtig repräsentativ wäre, so würde sie immer noch überdurchschnittlich positiv ausfallen.
Doch irgendwie scheinen die Ängste gerade bei Eltern besonders hoch zu sein und nicht selten irrational.
Man schickt die Kids nicht mehr einfach so auf die Straße, sie müssen mindestens ein Smartphone dabei haben und sich regelmäßig bei den Eltern melden. Spätestens um 18h gibt es dann Abendessen und dann müssen sie pünktlich auf der Matte stehen. Wie war das denn eigentlich bei uns? Hmmm... meine Mutter hat mir das gerade erst wieder ins Gedächtnis gerufen. Es muss im Sommer 1985 oder ´86 gewesen sein und ich habe ein Übernachtungslager mit meinem damalig besten Freund Timo im Grillhaus hinter dem Haus meiner Eltern bezogen. Wir hatten uns häuslich eingerichtet, so mit Klappbetten, Isomatten, Bundeswehrschlafsäcken, Decken und Verpflegung in Form von Chips und Gummibärchen. Morgens hat uns meine Mutter das Frühstück in unsere luftige Behausung gebracht, mittags haben wir ein Bütterchen oder oben bei meinen Eltern im Haus was gegessen und abends gab es dann am Lagerfeuer (welches mein Vater vorbereitete) Stockbrot. Zwischen den Mahlzeiten waren wir unterwegs, kein Handy, kein Pager, sondern einfach unterwegs. Lediglich die Armbanduhr verriet die Essenspausen und abends ist man zurückgekommen, wenn die Straßenbeleuchtung anging.
Meine Eltern wussten nicht, wo wir im Viertel überall unterwegs waren, aber sie haben uns vertraut und wir fühlten uns genau durch das Vertrauen sicher. Wir spielten im Umkreis von gut 2km und das war okay. Wir kletterten auf Bäume, bauten uns im Wald Buden, schlichen durch die Gärten der Nachbarn und kauften uns von unserem Taschengeld YPS-Hefte und Süßigkeiten beim Kiosk. Ganz autark. Wir waren doch gerade mal 11, 12 Jahre alt ^^.
Meine Eltern wussten nicht, wo wir im Viertel überall unterwegs waren, aber sie haben uns vertraut und wir fühlten uns genau durch das Vertrauen sicher. Wir spielten im Umkreis von gut 2km und das war okay. Wir kletterten auf Bäume, bauten uns im Wald Buden, schlichen durch die Gärten der Nachbarn und kauften uns von unserem Taschengeld YPS-Hefte und Süßigkeiten beim Kiosk. Ganz autark. Wir waren doch gerade mal 11, 12 Jahre alt ^^.
Doch schon mit 5, 6, 7 Jahren sind wir in unserem Viertel unterwegs gewesen, haben auf der Straße gespielt, mit Kreide Bilder darauf gemalt und uns mit einer Decke draußen hingesetzt und alte Spielsachen, wie auf einem Flohmarkt, zum Verkauf angeboten. Das war normal. Ganz schön verantwortungslos von unseren Eltern, oder? Nein.
Auch hier galt, gehen die Straßenlaternen an, bist du zuhause. Doch irgendwann scheint sich das geändert zu haben. Es kippte, denn auch ich bin wesentlich vorsichtiger mit meinem ersten Kind umgegangen und habe viele Regeln und Begrenzungen aufgebaut. Da sich seine Mutter und ich früh getrennt haben, war es eh nie so leicht wie in meiner Kindheit. Jetzt mit seinen fast 18 Jahren, hat er jedoch genau die Freiheiten, die ich in seinem Alter hatte. Ich lasse ihn los, ihn ziehen. Und das ohne mit Panik im Auge, wach im Bett zu liegen und Ängste um mein Kind haben zu müssen. Ich weiß, wie es ist in dem Alter, ich weiß, dass man diese Freiheit und das Vertrauen braucht, um groß zu werden. Natürlich mache ich mir ab und an auch mal Gedanken. Wo steckt dein Kind, wollte er sich nicht zwischendurch nochmal melden?
- Gedankensprung zu meinen zwei kleineren Kindern.
Die aufgrund der Familiensituation behüteter im Umfeld beider Eltern aufwachsen können. Sie sind 6 und 9 Jahre alt und spielen gerne zusammen. Sind beste Kumpels, Brüder wie es im Buche steht. Der Eine ist mutiger als der Andere und gemeinsam sind sie stark. Wir lassen sie machen, natürlich geführt, geleitet - begleitet. Aber die Hunderunde am Morgen mit Bentley, unserer französischen Bulldogge, der Gang zum Bäcker, um frische Brötchen zu kaufen, funktioniert schon tadellos. Man muss den Kindern was zutrauen. Der Weg zur Schule ist ja auch ganz alleine möglich (zugegeben, die Grundschule ist bei uns gerade mal 230m entfernt). Aber um Christian Stöckers Kolumne aufzugreifen, in den Sechszigerjahren war der Bewegungsradius der Kids mehrere Kilometer (bei mir ja auch noch) und heute ist es, laut Aussage der Süddeutschen Zeitung, auf 500 Meter geschrumpft. Schon krass. Vielleicht war meine Prägung und der Bewegungsradius auch durch meine Sozialisierung durch die Pfadfinder begründet. Sicherlich stärkt sowas das Selbstvertrauen. Bei mir tat es das auf jeden Fall, ich fühlte mich in meiner Hood sicher. Natürlich hat man auch mal Stress mit den Nachbarskindern gehabt, aber dann lief man halt schnell nach Hause.
Sind die Medien schuld, dass wir so ein Bild der Angst in uns tragen? Was hält uns davon ab die Kinder einfach mal ziehen zu lassen? Muss immer nur das Negative gesehen werden?
Zurück zum Jetzt, denn ich schweife wieder ab.
Gestern war meine komplette Familie beim Freibad-Sommerfest. Das Freibad liegt in unserer Straße, gerade mal 300 Meter entfernt von unserem Haus. Es war lustig. Wir Erwachsenen haben Bier getrunken und Würstchen gegessen, die Kids waren alleine im Wasser, tollten auf der Wiese rum, wo die Feuerwehr ein paar Kinderattraktionen aufgebaut hatte und spielten für sich. Etwas später, mein Ältester fuhr mit seiner Freundin ins Theater, kamen meine kleinen Jungs an und wollten bei uns zuhause ein Buch lesen. Okay, warum denn nicht, sie zogen los und meine Haustürklingel erblickte sie 6 Minuten später, übers Smartphone öffnete ich die Türe und die Jungs waren alleine im Haus.Zugegeben, durch die aktuelle Technik bin ich im Vorteil und habe auch die Big Brother Karte in der Hand, aber würde ich noch mit Schlüssel in der Tasche rumlaufen, so hätten sie auch diesen bekommen - das gehört nämlich zur Prägung und zum Reifen dazu. Wir müssen unseren Kindern mehr zutrauen, sie alleine ziehen lassen, sie Dinge alleine erledigen lassen. Die Jungs entschieden sich übrigens eine halbe Stunde später, wieder zu uns ins Freibad zu kommen. Ich merkte ihre Entscheidung durch die Bewegungsmelder am Haus und empfing sie freudig auf der Straße. Die Beiden waren übrigens total stolz. Ich auch. Wie gesagt, jetzt kann man sicher unken, dass ich ja eh alles dank SmartHome im Blick hatte, aber das ist für die Kids nicht direkt ersichtlich und stärkt ihr Selbstvertrauen. Und wenn sie morgens alleine eine große Hunderunde drehen oder mal zu einem Freund abdackeln, dann ist das auch nicht komplett kontrolliert. Genau darum geht es, es muss nicht immer alles fremdbestimmt, ferngesteuert und kontrolliert ablaufen.
Junge, junge.
So richtig schräg und bewußt wie albern es geworden ist, wurde mir bei einer Absage einer Mutter für ihr Kind, zur Kindergeburtstags-Party meines mittleren Sohnes. Phil hat in den Kletterpark eingeladen, ein Park den wir schon mehrfach erklettert haben und kennen. Hier dürfen im Kinderparcours die Kids ab 4 Jahren und 100cm Größe, in bis zu 9 Metern Höhe klettern. Natürlich mit durchlaufenden Sicherungssystem, wo die Kinder permanent gesichert sind. Dazu gibt es noch ein geschlossenes Netz-Labyrinth in bis 12 m Höhe für Kinder bis 50 kg Körpergewicht. Also alles sicher, aber die Mutter sagte uns auf Grund von Sicherheitsbedenken ab, sie hätte sich ausreichend informiert und es wäre nicht in ihrem Interesse. Es wirkte erstmal wie ein Schlag vor den Kopf für uns. Wenn es nicht sicher wäre, würden wir keinen Kindergeburtstag dort feiern, wir sind ja schließlich in der Pflicht. Aber genau dieses Verhalten zeigt das Helikoptern auf, welches gerade so zum Trend wurde. Kinder werden mit SUVs bis vor die Schultüre gefahren, dürfen kaum einen Schritt alleine unternehmen und noch viel trauriger ist die Tatsache, dass man sich scheinbar nicht mehr dreckig machen darf. Überbehüten, spät Kinder bekommen und diese dann in Watte betten. Das züchtet eine Generation von dicken, eingebildeten, unselbstständigen Kindern heran. Glückwunsch - wir sind auf dem guten Weg diese Gesellschaft an den Rand des Wahnsinns zu führen.
Ich muss abschließend noch mal Herr Stöckers Satz aufgreifen:
"In den Siebzigern gab es noch 16 bis 18 Sexualmorde an Kindern pro Jahr, heute sind es zwei bis vier. 1980, als ich zu Fuß zur Schule und nach Hause ging, starben 1159 Kinder unter 15 im Straßenverkehr. 2016 waren es 66."
Auch wenn die Sicherheit mit den Jahren und neuen Techniken immer mehr zunimmt, ist die gefühlte Angst und das Unbehagen die eigenen Kinder einfach mal loszulassen gewachsen. Aber so irrational scheint es ja auch in vielen anderen Bereichen abzulaufen. Warum ist das so?
Hier gibt es die "Sinnieren Beiträge" der letzten Jahre.
Lassen wir doch Kinder, Kinder sein. Schicken sie raus in die Natur und lassen sie einfach mal machen. Ich mein, ich lebe ja auch noch und das obwohl ich damals keinen Kindersitz hatte, die ganze Zeit unbeaufsichtigt draußen war und Regenwürmer gegessen habe.
Ach ja, geimpft wurde ich übrigens auch. Kommt mal alle wieder klar. Vertrauen muss nicht durch Kontrolle ersetzt werden. Kinder können nur durch Eigenständigkeit zu Persönlichkeiten heranreifen. Man muss ihnen was zutrauen und sie auch mal ziehen lassen. Wir Eltern sind hier in der Pflicht und ein Wunder, dass es uns überhaupt gibt.
Waren wir nicht das Volk der Dichter und Denker? Dann bitte...
Wie Goethe es so bezeichnend sagte: "Zwei Dinge sollen Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel."
So, für heute reicht es mal wieder. Ich beschließe meinen Beitrag wieder mit dem allseits beliebten Satz:
Marty McFly told me the Future will be Great.
Hier gibt es die "Sinnieren Beiträge" der letzten Jahre.