EDGAR WASSER RELEASED DIE 'TOURETTE SYNDROM EP'
EP ist gut – 18 Tracks, fast eine Stunde Spielzeit und mehr Skills als so manch anderes Lebenswerk. Edgar Wasser haut so richtig einen raus. Schon die Vorab-Singles „Bad Boy“ und „Gangsta“ ließen Großes erwarten. Dass der dürre MC aus München durch die Decke gehen wird, wusste man bereits nach seiner beachtlichen Anzahl von Freetracks, die er (immer noch) über seine Website www.edgarwasser.de zum Download anbietet. Die Frage war nur: Wann? Ich denke, er ist dem großen Durchbruch mit der neuen EP ein ganzes Stück näher gekommen. Dabei muss man jedoch unterscheiden zwischen Mainstream-Erfolg, sprich Radioairplay und Ruhm und Ehre innerhalb der Szene. Ersteres wird zumindest schwierig, da seine Texte voller Ironie und Provokation einfach nicht jedermanns Sache sind. Über seine Qualitäten am Mic sollte allerdings kein Zweifel bestehen. That shit is dope!
Erst einmal sind die Tracks der EP wesentlich besser
produziert als die Free Tracks. Als Producer und Beatmaker versammeln sich schließlich
unter anderem Cap Kendricks, Paulinger, Peet, Maeckes oder Noisecunt. Aber auch
Edgar selbst hat produziert – zB den Track Gangsta, der vorab in der Kommentarspalten
von Youtube und Co für heiße Diskussionen sorgte, verwendete Wasser doch den
verhassten Autotune-Effekt. Ich verstehe die Aufregung nicht, wird doch klar,
um was es Edgar Wasser am Ende des Tages geht: den Track. Und dem unterwirft er
sich mit aller Konsequenz. Wasser will etwas zum Ausdruck bringen und tut das
auf mehr als nur einer Ebene. Text und Musik passen fast immer perfekt zusammen
und wenn man die Gangster-Szene persiflieren will, muss (darf?) man sich derer
Mittel nicht verschließen. Heraus kommt ein gelungener Track, der einfach rund
ist. Man merkt, wie viel Liebe im Detail in den Tracks steckt. Auch das ist ein
Unterschied zu vielen anderen MCs in Deutschland.
Ich tue mich etwas schwer, echte Highlights heraus zu picken, verläuft die EP doch über die gesamte Spielzeit auf einem unfassbar hohen Niveau. Versuchen möchte ich es trotzdem:
Bad Boy:
Die erste Single macht keine Gefangenen. Textlich auf den
ersten Blick das frauenfeindlichste, was man seit langem gehört hat, entdeckt man
zwischen den Zeilen, wie Edgar Wasser einem Großteil der Szene den Spiegel
vorhält. Frauen im Hip Hop werden immer noch belächelt. Warum überhaupt? Beste
Line: „Es ist nicht dumm, Frauen Huren zu nennen. Das macht Kollegah auch und
der ist klug, der ist Jurastudent.“ Bam. Der sitzt.
Der nachfolgende Interview-Ausschnitt belegt die wahre
Intention des Tracks. Wie bei fast allen Songs, erklärt sich die Wahrheit durch
Samples oder Filmzitate. Und diese gehören zwingend zum Track und sollten nicht
von diesem getrennt werden.
Die Bucht:
Ein Song, der das Thema Delfinfang thematisiert? Geht nicht?
Geht.
Tolle Hook, guter Beat, cleverer Text.
Beste Line: „Sie sagen mein Schwanz hätte Millimetermaß
(Filmzitat:) Doch Delfine sind Wale – die Größe ist egal.“
Peng:
Produziert von Maeckes fällt der Track (natürlich) aus dem
Rahmen, ist er doch viel ruhiger und melancholischer als der Rest. Aber ich
sehe darin die perfekte Kombination: Maeckes sowie Edgar Wasser sind
Ausnahmeerscheinungen im deutschen Rap. Die beiden machen immer schon ihr ganz
eigenes Ding. Kein Wunder, hört man doch am Ende der EP von Edgar selbst, dass
Maeckes sein Held war. Auch schon auf Maeckes letzter EP „Zwei“ gab es ein
Edgar Wasser Feature, welches aber wesentlich härter war, als der Track Peng.
Beste Line: “ Es ist nicht okay, wir haben uns
gewöhnt an die Ungerechtigkeit, die uns verwöhnt. Dank dreißig Cent
Stundenlöhnen – dreißig Cent! Das ist ganz schön viel, Zeit für Kürzungen. Meine
Lyrics sind leise Fürze in einem Aufzug mit deinem Schwarm und dein Herz
schreit "Ja!", aber dein Darm meint "Naja, gestern gab's leider Chilli
con Carne mit kleinen Würstchen drin"
Knaller.
Die beste Line auf der gesamten EP bleibt für mich
allerdings der Refrain von „Weiße Flagge“, auf dem Weekend gefeatured wird. Mit
einfachen Worten wird hier eins der Hauptprobleme unserer Gesellschaft auf den
Punkt gebracht:
„Ich wäre beinah in den Krieg gegangen: Ich gegen die
Probleme, die unsere Welt regieren. Aber leider gab's da Widerstand, also
hisste ich die weiße Flagge anstatt mich zu wehren. Und so wurden die Feinde zu
meinen Freunden, ich zog in die Schlacht und wechselte dann die Fronten.
Die härtesten Gegner sind die eigenen Fehler und wenn man sie zulässt,ist man nicht mehr Opfer, sondern Täter.“
Die „Tourette-Syndrom EP“ ist für mich das Highlight des
Deutschrap-Jahres 2014, in dem es einige wirklich starke Releases gab. Man darf
gespannt sein, wie sich Acts wie „Zugezogen Maskulin“, „Retrogott und Hulk
Hodn“ oder die „Antilopengang“ im nächsten Jahr entwickeln. Mit Fug und Recht
darf man behaupten, dass es Hoffnung im Deutschrap gibt. Es ist nicht alles
Kollegah, Hafti oder Farid Bang. Hat alles seine Daseinsberechtigung. Aber ich
stelle mich auf die Seite der erstgenannten. Ich mochte ja auch schon immer
lieber De La Soul oder A Tribe Called Quest, während andere Biggie und Tupac
feierten.
In diesem Sinne, auf ein spannendes Jahr 2015.
Supporte das Atomlabor kaufe:
In diesem Sinne, auf ein spannendes Jahr 2015.
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