Eine kleine Geschichte über Bequemlichkeit, Bot-Attacken und die Fragilität unserer digitalen Existenz
Es ist schon merkwürdig, wie schnell 18 Jahre Arbeit einfach so verschwinden können. Ein Klick, eine E-Mail, eine automatische Entscheidung und plötzlich ist da, wo seit 2007 täglich neue Inhalte entstanden sind, hier im Atomlabor, nur noch eine Fehlermeldung. Mein Blog wurde gestern von Google gesperrt. Richtig dicht gemacht und vom Netz genommen. Nach über 8.000 Beiträgen, unzähligen Stunden Arbeit und einer Community, die über die Jahre gewachsen ist. Und das Verrückte daran: Ich hätte es verhindern können. Meine digitale Heimat, ein Teil meiner Identifikation.
Die Geschichte beginnt mit einer Anomalie
Vor ungefähr einer Woche fiel mir etwas Seltsames in meinen Analytics-Daten auf. Mein Blog hat normalerweise um die 70.000 Aufrufe im Monat, das sind etwa 2.300 am Tag. Solide Zahlen würde ich meinen. War mal viel mehr, aber Blogs haben ja auch nicht mehr den Stellenwert, den sie vor 10 Jahren noch hatten. Aber plötzlich kamen da 5-stellige zusätzliche Aufrufe aus Russland. An nur zwei Tagen. Das war eine Vervierfachung meines normalen Traffics, aus einem Land, das normalerweise praktisch 1 % meiner Leserschaft ausmacht.
Mein erster Gedanke:
Das riecht übel nach Bot-Traffic. Und mein Bauchgefühl sollte recht behalten.
Die Analytics verrieten wirklich alles
Als ich tiefer in die Daten eingetaucht bin, wurde es eindeutig: Hunderte von Einträgen mit „testing" plus irgendwelchen Zufallsbuchstaben. testingkqzwqoue, testingmxmnidpd, testingmzezetrs, alles mit exakt einem Aufruf. Das sind klassische Bot-Signaturen, wie sie im Lehrbuch stehen. Und aus den hunderten wurden tausende. Okay,
Die Weltkarte in Google Analytics zeigte es deutlich: Eine massive Konzentration in Osteuropa, hauptsächlich Russland. Koordiniert, systematisch, professionell. Also echte systematische Testläufe, ich bildete es mir nicht nur ein. Klassische Bot-Signatur und damit ein eindeutiger Manipulationsversuch an meinem Blog. Und damit bin ich dann wahrscheinlich Opfer einer sophistizierten Cyber-Attacke geworden. Hätte ich vor ein paar Jahren nicht für möglich gehalten.
Google schlägt zu – gegen das Opfer
Eine Woche später kam die E-Mail von Google. Kalt, unpersönlich, endgültig:
„Dein Blog wurde uns zur Überprüfung gemeldet. Wir haben festgestellt, dass er gegen unsere Richtlinien verstößt. Spam.“
Keine Vorwarnung. Keine Möglichkeit zur direkten Stellungnahme, lediglich ein Formular zum Einspruch. Kein Zugang zum Backend mehr. Nach 18 Jahren ohne Probleme einfach: Klick und weg.
Das Perfide daran: Die Angreifer hatten dabei Googles eigene Schutzmechanismen gegen mich verwendet. Sie überlasten meinen Blog mit Bot-Traffic, Googles Algorithmus schlägt an und sperrt mich und nicht die Bots. Mission accomplished, völlig legal.
Meine Versäumnisse, ganz ehrlich betrachtet
Aber hier kommt der Teil, der mir besonders wehtut: Ich hätte es natürlich verhindern können.
Seit Jahren wusste ich, dass ich irgendwann von Blogger weg muss. Gespräche mit meinem Provider? Geführt. Antwort auf die Frage nach einer schnellen Migration? „Schnell machbar.“ WordPress als Alternative? Theoretisch längst geplant.
Aber ich war SEO-verwöhnt im Google-Universum. Mein Theme ist ja komplett angepasst, alles läuft perfekt, die Zahlen stimmten. Warum also etwas ändern, was funktioniert? Never change a running system, dröhnt mir immer im Kopf, wenn ich an einen Umzug denke. Wer mich dabei also gerne unterstützen möchte, soll sich bitte melden. Ich benötige da echt Hilfe.
Warum also ausgerechnet ich?
Mein Blog war schon immer politisch. Sozialkritische Inhalte, klar gegen Faschismus, gegen Autokratie, gegen Parteien wie die AfD und merkwürdige Trump-Politik positioniert. In Zeiten, in denen kritische Stimmen systematisch ins Visier genommen werden, macht das scheinbar verwundbar.
War der Bot-Angriff politisch motiviert? Die Indizien sprechen dafür. Russische Bot-Operationen gegen kritische Blogger sind dokumentiert. Die Timing war perfekt, die Ausführung professionell.
Aber selbst wenn es „nur“ ein zufälliger Angriff war, die Lektion bleibt dieselbe. Ich bin da echt kein Verschwörungstheoretiker und will das auch nicht werden, aber das war schon eine verrückte Nummer. Solche Zufälle gibt es doch eher selten.
Das Bangen um die Wiederherstellung
Googles Einspruchsverfahren zu durchlaufen war surreal. Nach einem Tag des Bangens kam die Erlösung: Blog wieder freigeschaltet. Google hatte „bei nochmaliger Prüfung“ festgestellt, dass doch alles in Ordnung war. Aber der Schaden war dennoch angerichtet. Die Erkenntnis, wie fragil unsere digitale Existenz ist, sitzt jetzt tiefer denn je in mir.
Comfort kills.
Die digitale Komfortzone kann halt zur Falle werden. Wer jahrelang auf fremden Plattformen baut, gibt halt auch Kontrolle ab und zahlt irgendwann den Preis. Tja, war mir bewusst, aber man kann ja auch gut ausblenden. Zumal ein Umzug bei 8000 Beiträgen kein Pappenstiel mehr ist. Als großer TikToker hätte ich jetzt aktuell mehr Schiss, dass meine Plattform irgendwann mal platt gemacht wird. Schwups … von einem Tag auf den Anderen ist deine Lebensgrundlage weg.
Meine wichtigsten Erkenntnisse dazu:
- Diversifizierung ist überlebenswichtig
- Mentale Hürden sind oft größer als technische
- Backups sind nicht optional
- Politische Positionierung hat ihren Preis
Der Weg nach vorn
Und jetzt teile ich meine Geschichte, weil sie zeigt: Wir sind alle verwundbarer, als wir denken. Jeder kritische Blogger, jeder digitale Meinungsbildner kann zum Schweigen gebracht werden und das ganz legal und mit den Plattformen als unwissentlichem Komplizen.
Mein Fall ist netterweise kein Einzelfall. Er zeigt exemplarisch, wie hybride Kriegsführung 2025 funktioniert. Russische Bot-Netzwerke nutzen westliche Algorithmen als Waffe. Kritische Stimmen werden nicht mehr direkt zensiert, sie werden subtil destabilisiert.
Aber er zeigt auch, dass wir uns erfolgreich wehren können. Mit Dokumentation, Beharrlichkeit und der Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen.
Was bleibt jetzt, außer dem dumpfen Gefühl in meiner Magengrube?
Nun, jetzt hätte ich fast mein digitales Lebenswerk verloren und trotzdem bin ich dankbar für diese Erfahrung. Sie hat mir nämlich gezeigt, wo meine Schwachstellen liegen, wie wichtig Unabhängigkeit ist und dass mentale Hürden oft größer sind als technische Probleme. Der Blog läuft wieder. Die Migration denke ich jetzt gezielter an. Und ich bin entschlossener denn je, meine Stimme nicht verstummen zu lassen, egal von welcher Seite der Druck kommt.
Fuck 💩fD und Fuck P*tin.